von Alexandra Loewe, Nathalie Luitjens, Alisa Trittin
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Mehr Mut zur Anzeige

Von „Du bist hübsch“ zu „Schick mir ein Nacktbild“

Vergewaltigung und sexuelle Belästigung sind nicht nur Themen, die weibliche Opfer betreffen. Denn weder Opfer noch Täter können Stereotypen zugeordnet werden. Trotzdem sind gerade junge Mädchen oft leicht zu beeinflussen und durchschauen die Masche der Täter nicht. Kriminalhauptkommissarin der Polizeiinspektion Wilhelmshaven und Friesland, Petra Kiesewetter, möchte deshalb allen Opfern Mut machen, Vorfälle bei der Polizei zu melden und sich nicht dafür zu schämen.

Frau Kiesewetter, wenn man an Missbrauch denkt, kommen einem sofort junge Mädchen und Frauen in der Opferrolle in den Sinn. Gibt es denn ein durchschnittliches Alter der Opfer, die Sexualdelikte anzeigen? Und wie gelangt der Sachverhalt an die Polizei?
Kiesewetter: Ein durchschnittliches Alter gibt es nicht. Bei missbrauchten Kindern kommen meistens die Eltern zu uns. Bei erwachsenen Frauen ist es so, dass sie sich oft zuerst nicht überwinden können, zu uns zu kommen, weil sich viele dafür schämen. Natürlich gibt es aber auch männliche Opfer. Die kostet es oft noch mehr Überwindung, zur Polizei zu gehen. Trotzdem ist es wichtig, sich jemandem anzuvertrauen und den Vorfall bei der Polizei zu melden.

Es gibt also tatsächlich auch männliche Opfer, die Sexualdelikte anzeigen?
Kiesewetter: Es ist tatsächlich so, dass wir deutlich weniger männliche Opfer haben. Wir gehen davon aus, dass es ein sehr hohes Dunkelfeld gibt, weil sich die Betroffenen ja als ersten Schritt an uns wenden müssen. Aber gerade Jungen und junge Männer haben eine größere Scham sich der Polizei anzuvertrauen. Sie werden einfach oft sofort in die „du bist schwul“-Schiene geschoben. Was dummerweise natürlich immer noch viele als Beleidigung ansehen.

Wie sieht der „typische“ Sexualstraftäter aus? Kommt er aus einer bestimmten Schicht?
Kiesewetter: Nein, das kann man nicht sagen. Gerade auch im Bereich der Kinderpornografie stellen wir fest, dass die Täter aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen. Es ist genauso der Arbeitslose, wie auch der Doktor oder andere Gruppen.

Ihr Fachgebiet liegt unter anderem im Bereich Sexualdelikte. Ab wann beginnt eine „Straftat gegen sexuelle Selbstbestimmung“ und gibt es eine Grenze?
Kiesewetter: Im Jahr 2016 gab es die Strafrechtsreform, davor galt das sogenannte „Angrabschen“ noch als Beleidigung. Durch die Reform war es dann so, dass solche Delikte in ihrem Strafmaß angehoben wurden. Jetzt fallen sie auch unter Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung und werden als solche behandelt.

Gibt es eine „typische“ Tatbeschreibung, die von den Opfern immer wieder angezeigt wird?
Kiesewetter: Nein, da gibt es eine ganze Bandbreite. Da ist von der Belästigung bis hin zur Vergewaltigung alles mit dabei. Wobei die Strafandrohung bei den einzelnen Taten unterschiedlich ist. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Opfer den Tathergang genau beschreiben, auch wenn es unangenehm ist. Ist es zum Beispiel ein Anfassen über oder unter der Bekleidung? Schon das wird unterschiedlich bewertet. Kommt es zum erzwungenen Geschlechtsverkehr sprechen wir von Vergewaltigung. Aus diesem Grund müssen wir so detailliert nachfragen, um die Straftat einordnen zu können.

Gibt es denn auch Frauen, die Männer missbrauchen?
Kiesewetter: Ja das gibt es. Zwar nur selten in einzelnen Fällen, aber gerade im Bereich der Kinderpornografie sehen wir auch weibliche Täterinnen, die kleine Jungen missbrauchen. Aber hier bewegen wir uns im Minimalbereich.

Gerade die Strafen für Sexualdelikte, die auch in den Medien diskutiert werden, sind für Außenstehende häufig frustrierend. Wie beurteilen Sie das verhältnismäßig geringe Strafmaß für Sexualdelikte in Deutschland?
Kiesewetter: Als polizeilicher Sachbearbeiter ist es schwierig, das zu beurteilen. Wir sprechen mit dem Opfer, vernehmen den Täter und gegebenenfalls Zeugen. Alles was danach kommt, liegt nicht mehr in unserem Zuständigkeitsbereich. Manchmal lässt sich der Beschuldigte auch gar nicht auf uns ein und wir erfahren nichts über ihn beziehungsweise seine Sicht der Dinge. Dann wird der Fall erst im Rahmen eines Gutachtens oder der Verhandlung aufgearbeitet.
Ein Strafmaß wirkt manchmal zu gering, weil wir als Außenstehende nicht alle Fakten kennen; also auch nicht einige Faktoren, die den Täter entlasten können. Es kann zum Beispiel sein, dass er selber Missbrauchserfahrungen gemacht hat oder aus einem Elternhaus kommt, in dem die Erziehung nicht optimal gelaufen ist. Manchmal spielt auch der kulturelle Hintergrund eine Rolle. All diese Sachen muss ein Gericht bei der Entscheidung mit einfließen lassen. Nichts desto trotz sind manche Urteile schwierig zu reflektieren.

Wo wir schon bei kulturellen Hintergründen sind: Aus den aktuellen polizeilichen Kriminalstatistiken geht hervor, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von 2013 auf 2014/15 stark angestiegen sind.
Sind Sie der Meinung, dass dies etwas mit der Flüchtlingswelle zu tun haben könnte, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt getroffen hat?
Kiesewetter: Dieses Thema wurde schon oft in der Presse diskutiert. Dies bezieht sich nicht nur auf Sexual- sondern zum Beispiel auch auf Körperverletzungsdelikte. Es sind überwiegend junge Männer nach Deutschland gekommen. Diese Gruppe schlägt sich generell eher in den Kriminalstatistiken nieder, egal welcher Nationalität sie angehören.

Was würden sie abschließend potenziellen Opfern raten, um sich zu schützen?
Kiesewetter: Allgemein würde ich Opfern von Sexualdelikten raten, sich jemandem anzuvertrauen. Egal, ob jemandem aus dem persönlichen Umfeld oder einer Beratungsstelle. Als Opfer einer Vergewaltigung kann ich die Spuren der Tat auch anonym sichern lassen, falls ich mich noch nicht zu einer Anzeige bei der Polizei entschließen kann. Beim Thema „Cyber-Grooming“, also sexuelle Belästigung im Internet, würde ich mir wünschen, dass Kinder und Jugendliche mit dem Internet sorgfältiger umgehen. Denn sie sind diejenigen, die es besonders häufig betrifft. Und wenn sie merken, dass irgendwas aus dem Ruder läuft, sollten sie sich auch wirklich jemandem anvertrauen. Ob es die Eltern sind oder ein Vertrauenslehrer, ist ganz egal. Es ist häufig so, dass die Opfer angefüttert werden. Aussagen wie „Du bist hübsch. Ich will dich zum Model machen“, sind oft die Masche der Täter. Danach folgen Aufforderungen wie: „Schick mir mal ein Nacktbild, ich muss dich ja begutachten können.“ Spätestens wenn das Foto dann gekommen ist, geht die Drohung los. Dann lassen die Männer im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen runter und zeigen ihr wahres Gesicht, dass sie eigentlich nur solche Bilder haben wollten. Dann werden die Kinder natürlich mit der Veröffentlichung der Bilder erpresst. In diesem Moment ist es dann schwer, sich an die Eltern zu wenden, die vielleicht sogar noch davor gewarnt haben.
Aber dann einfach diesen Schritt zu machen und zu sagen: „Halt stopp, ich will das nicht!“, ist sehr wichtig. Erfahrungsgemäß hören die Drohungen ja auch nicht auf, und der Täter fordert immer mehr. Genau deshalb möchte ich die Opfer bestärken, dass sie den Mut haben, sich an eine Vertrauensperson zu wenden und die Tat dann bitte auch anzuzeigen. Gerade wenn etwas über WhatsApp oder SMS läuft, haben wir durch die Handynummer gute Chancen, den Täter zu finden.

Hier finden Betroffene Hilfe

Das Präventionsteam der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland bietet individuelle Beratungen zu dem Thema an und hält Vorträge an Schulen. Als Ansprechpartner stehen der Beauftragte für Jugendsachen, Peter Lewald und Katja Reents, Beauftragte für Kriminalprävention zur Verfügung. Bei Fragen jeglicher Art oder schon vorhandenen Problemen kann man sich jederzeit an die Polizei wenden. Telefon: 04421/942-107 oder - 108; E-Mail unter prävention@pi-whv.polizei.niedersachsen.de 

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